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2012 Allgemein

Josephin Weidinger in Chile

1. Quartalsbericht

Wie ich mir die Frage nach dem „Warum?“ stellte… und sie beantwortete!

1. Die Ankunft
Ich kann es kaum glauben, dass ich schon 2 Monate in Santiago de Chile lebe, da die Zeit einfach unheimlich schnell vergangen ist. Andererseits fühle ich mich schon so wohl und zuhause, als ob ich schon immer hier lebe. Genauso verwirrend wie sich mein Zeitempfinden anhört, ist es hier die ersten Wochen in Chile auch gewesen.
Da ich einen ziemlich schweren Unfall vor meiner Abreise hatte, konnte ich nicht wie geplant mit den anderen Freiwilligen Anfang August nach Chile aufbrechen. Ich war deshalb unheimlich enttäuscht, aber auch so froh, dass mein Traum nicht komplett platzte, sondern lediglich aufgeschoben wurde. Am 2.September war es dann tatsächlich endlich soweit. Ein tränenreicher Abschied am Frankfurter Flughafen stand an, bevor ich einen zwölfstündigen Flug nach Sao Paulo über mich ergehen lassen musste. Da ich nachts flog, hatte ich kaum Gelegenheit über die vor mir liegende Zeit nachzudenken, sondern schlief die meiste Zeit. In Sao Paulo angekommen änderte sich dies jedoch gravierend: „Jetzt bist du in Lateinamerika!“ Wie eine Welle überrollte mich diese Erkenntnis und begleitete mich meinen ganzen Aufenthalt am brasilianischen Flughafen. Selten habe ich mich so einsam und verloren gefühlt. Die Ungeduld und Freude auf meinen Freiwilligendienst wurde von Zweifeln und Angst überschattet: „Warum mache ich das eigentlich? Ein Jahr ist so unheimlich lang!“ Nach unendlich langen 3 Stunden ging mein Anschlussflug nach Santiago. Auch während diesem änderte sich meine Laune nicht. Doch nach weiteren 4 Stunden betrat ich den chilenischen Boden, kämpfte mich durch die Einreiseschalter, die Gepäckausgabe und das Zollamt…und dann war es endlich geschafft. Eine meiner Mitfreiwilligen, die als Assistentin bei meiner Aufnahmeorganisation arbeitet, erwartete mich schon. Sofort erzählte sie mir wie die Woche für mich weitergehen würde und ich fühlte mich keineswegs mehr einsam, sondern einfach rundum wohl und geborgen. Der chilenische Winter, der nach Erzählungen ziemlich kalt ist, war bereits abgeklungen und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zu meiner Aufnahmeorganisation „Fundación Cristo Vive“. Dort wurde ich ebenso herzlich von den Schwestern und anderen Mitarbeitern begrüßt und dann in meine Wohnung in das Armenviertel „La Pintana“ gefahren.

2. Mein neues Zuhause
Als ich gemeinsam mit meinen Mitbewohnern, die früher ihre Arbeitsstelle verlassen durften, unsere Wohnung betrat, war ich einfach nur glücklich. Die Zimmer sind klein, kalt und unordentlich, aber ich möchte für keinen Preis der Welt diese Wohnung tauschen. Man fühlt sich sofort zuhause und ich gehörte ab dem ersten Moment dazu. Ich teile mir ein Zimmer mit einer Mitfreiwilligen, was ich aber super finde, da ich so nie allein bin, um mir zu viele Gedanken zu machen. Natürlich bleiben Meinungsverschiedenheiten nicht aus, aber damit umzugehen gehört  zu den Erfahrungen, die ich hier mache. An meinem ersten Abend hatte ich noch die wichtige Erkenntnis, dass das Leben in Lateinamerika keinesfalls günstiger ist als in Deutschland, wovon man als Europäer ja irgendwie ausgeht. Trotzdem haben wir Wege gefunden, das Jahr finanziell zu meistern.
Mein Viertel gefällt mir übrigens auch sehr gut. Alle warnten uns davor, allein auf die Straße zu gehen und ich hatte mir deshalb natürlich schon Sorgen gemacht, aber trotzdem habe ich mich von Anfang an sicher gefühlt. Natürlich ist hier alles ziemlich arm und an den Erzählungen von Überfällen ist auch was dran, doch trotzalledem fühle ich mich hier nicht anders als in Deutschland, vor allem auch, weil wir hier fast nie allein unterwegs sind. Trotzdem kann man nachts hin und wieder Schießereien hören und das Bellen der Straßenhunde ist genauso allgegenwärtig.

3. Die ersten Tage
An meinem zweiten Tag in Chile habe ich mich dann ins Polizeiregister eintragen lassen und mein „Carnet“ (chilenischer Personalausweis) beantragt. An diesem Tag machte sich das Heimweh wieder bemerkbar, was vielleicht auch an der Müdigkeit aufgrund der Zeitverschiebung lag. Ich entschloss mich dazu, mit meiner Mama zu skypen, was ich ziemlich tränenreich über die Bühne brachte. Doch das war notwendig, da ich direkt danach bemerkte, wie wunderschön Santiago ist, wie toll meine Mitbewohner sind, wie einzigartig diese Chance für mich ist, ein Jahr in einem 12000 km entfernten Land zu verbringen. Ab diesem Moment hatte das Heimweh erstmal für einen Monat ein Ende.
An meinem 3. Tag begann mein Sprachkurs in der Sprachschule „Tandem“ und ich bin unheimlich froh, ihn gemacht zu haben. Obwohl ich bereits fünf Jahre Spanisch in der Schule gelernt habe, war dies ein guter „Wiedereinstieg“ in das Spanischsprechen. Die Grammatik wurde wiederholt und typisch chilenische Wörter  eingeführt. Der Start in mein chilenisches Leben wurde mir dadurch sehr erleichtert.

4. Meine Arbeitsstelle und erschreckende Ereignisse
Und schon waren die ersten 3 Wochen vorbei. „Wie im Flug vergehen“ waren spätestens jetzt keine leeren Worte mehr. Meine Arbeitsstelle erschien mir anfangs traumhaft schön. Natürlich ist es wahnsinnig anstrengend: 9 Stunden, 20 Kinder zwischen 3 Monaten und 1 Jahr alt und 4 tías – und dann noch alles auf Spanisch. Der Anfang war nicht leicht, obwohl es mir sofort viel Spaß machte und ich mich sehr wohl fühlte im Kreis meiner „Kolleginnen“ und Kinder. Doch den ganzen Tag physisch gefordert zu sein, da viele Kinder noch nicht einmal laufen können und nervlich, da sie teilweise scheinbar „ohne Grund“ anfangen zu weinen, war für mich, die gerade die Schule beendet hatte, eine vollkommen neue und unbekannte Aufgabe. Hinzu kam in den ersten Wochen dann noch, dass ich mich an den Tagesablauf gewöhnte, die tías sich aber noch nicht so sehr an mich als Freiwillige, da ich zur ersten Generation in meiner Sala Cuna gehöre. Das wohlige Gefühl verwandelte sich schnell in Ärger und Enttäuschung, da ich nicht richtig in die Arbeit eingebunden wurde. Ich redete darüber aber mit meinen Kolleginnen. Inwieweit sich die Situation jetzt verbessert, werden wir sehen. Sollte keine Besserung auftreten bin ich aber dank unserer tollen Freiwilligenbeauftragten auf jeden Fall sehr froh, zu wissen, dass ich nicht auf mich allein gestellt bin.
Da ich auch in Deutschlands schon lange auf kleine Kinder aufpasste, bemerkte ich auch die Unterschiede der Ansichten meiner tías und der der Eltern in Deutschland, was mich  sehr erschreckt und mir die Lust am Arbeiten anfangs nahm. Doch auch daran muss ich mich wohl oder übel gewöhnen.
Ein anderes Thema war natürlich noch, zu sehen wie sehr sich das Umfeld der meisten Kinder von dem, der in Deutschland lebenden, unterscheidet. Kein Tag vergeht, an dem alle Kinder pünktich abgeholt werden und manche scheinbar „vergessen“ werden, sodass eine tía zu den Eltern fährt, da sie auch kein Telefon besitzen und  ihnen mitteilt, dass sie ihr Kind nun abholen müssen. Mich nimmt das ganz schön mit. Genauso wie die Szene, wenn ein Kind nach 9 Stunden abgeholt wird, sich sehr freut seine Eltern zu sehen und von diesen kaum bemerkt wird, geschweige denn begrüßt. Nachdem ich zuerst das dringende Gefühl hatte, etwas daran ändern zu müssen, sah ich relativ schnell ein, dass dies nicht in meiner Macht steht. Und so sorge ich nun dafür, dass die Kleinen zumindest, während ihrer Zeit in der Sala Cuna, eine schöne, behütete Zeit haben, in der sie ausreichend Essen und Schlaf bekommen, ebenso wie die Aufmerksamkeit und Zuwendung, die sie benötigen.

Einmal im Monat haben wir dann auch ein Treffen mit allen Freiwilligen und unserer Freiwilligenbeauftragten, was immer sehr interessant ist, da wir auch hier unsere Erfahrungen mit den anderen teilen können und merken, dass es viele Parallelen gibt. Dies zu sehen tut sehr gut. Auch unsere Freiwilligenbeauftragte ist einfach super, da sie schon Jahre lang mit Freiwilligen Erfahrungen gesammelt hat und diese mit uns bei Bedarf teilt.

5. Meine Freizeit
Das Wochenende haben wir dann frei, was auch unbedingt notwendig ist, um sich von der anstrengenden Arbeit zu erholen und neue Kraft für die darauffolgende Woche zu tanken. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen mache ich Ausflüge und erkunde so mein neues Zuhause. Neben größeren Fahrten ans Meer und in den Süden Chiles wanderten wir auf den Cerro San Cristóbal, einen wunderschönen Berg in Santiago, besuchten die Kirche meiner Aufnahmeorganisation oder trafen uns alle zusammen, um uns auszutauschen. Genauso schnell wie die Wochen vergehen, sind auch die Wochenenden vorbei.

6. Die Chilenen
Ich habe es selten erlebt, dass Menschen so zuvorkommend und freundlich sind. Egal ob es daran liegt, dass meine Mitbewohnerinnen blond sind oder ich ziemlich groß und wir dadurch sofort als „Ausländer“ identifiziert werden können, die Chilenen sprechen einen grundsätzlich an und bieten einem Hilfe an, wenn man nicht ein direktes Ziel ansteuert. Anfangs war das von daher super, da ich mit ihrer Hilfe sofort alles gefunden habe. Mit der Zeit wurde es aber ein wenig anstrengend. Doch eigentlich ist an Hilfsbereitschaft ja nichts auszusetzen.
Doch leider begegneten wir nicht nur „netten“ Chilenen. Ziemlich am Anfang wurde ich im Bus fast ausgeraubt, als zwei Mädchen meine Tasche mitreißen wollten. Ich konnte sie glücklicherweise noch festhalten. Doch vor zwei Wochen wurde dann meiner Mitbewohnerin der Geldbeutel aus ihrer Tasche geklaut. Es war ein ziemlich erschreckendes Erlebnis, da dadurch natürlich ihre Kreditkarte und ihr chilenischer Ausweis mit verschwunden waren. Doch auch hier fanden wir durch die gute Betreuung eine Lösung!

Jetzt bin ich also 2 Monate in Chile! Es ist nicht immer alles leicht 12000 km von Zuhause entfernt und doch verliere ich keinen Gedanken mehr daran, warum ich dieses Jahr mache. Ich merkte nämlich schon in der ersten Woche wie gut es mir hier trotz all der Schwierigkeiten geht und wie viel ich dazulernen werde. Und dafür bin ich wahnsinnig dankbar!

2. Quartalsbericht

Und die zweite Hälfte soll noch schneller vergehen als die erste?
5 Monate Chile! Ich weiß noch genau, wie ich im letzten Jahr zu dieser Zeit mit den damaligen Freiwilligen Kontakt hatte. Wie ich dachte, für sie müsse alles schon vollkommene Routine geworden sein, sie müssten schon das Gefühl haben, dass ihr Jahr fast wieder vorbei sei. Heute kann ich darüber nur der Kopf schütteln. Ich bin mittlerweile seit einer so langen Zeit hier in Santiago und obwohl ich mich absolut eingelebt habe und mich hier komplett zuhause fühle, ist die Zeit so schnell vergangen, dass mir die Heimreise noch sehr weit weg erscheint. Doch wie sind die letzten 3 Monate für mich verlaufen?

Meine Arbeit
Die anfänglichen Schwierigkeiten mit merkwürdigen Kolleginnen, sprachlichen Defiziten und Unkenntnis verschiedener Abläufe sind verschwunden. Ich bin Teil der Einrichtung geworden. Jeden Tag weiß ich immer genau was ich zu tun habe, was man machen darf und was nicht. Die tías und ich haben immer viel Spaß miteinander und ich habe die Kinder derart in mein Herz geschlossen, dass ich mir noch nicht vorstellen kann, mich von ihnen zu verabschieden. Doch natürlich ist nicht immer alles nur perfekt. Mindestens einmal pro Tag langweile ich mich ziemlich und mittlerweile freue ich mich auch schon sehr auf mein Studium, bei dem auch wieder mein Geist gefordert ist. Nicht selten bin ich einfach müde vom Rassel schütteln oder Schnuller in den Mund stecken. Dinge wie Wickeln, Flasche geben, füttern, schlafen legen und im Garten spielen lockern den Tag zum Glück immer auf und helfen mir dabei, mich wieder an kleinen Dingen wie einem Lächeln oder den ersten Schritten eines Kindes zu erfreuen. Manchmal frage ich mich wirklich, was ich hier eigentlich mache. In diesen Momenten rufe ich mir dann aber ganz schnell in den Kopf, dass die Kinder mittlerweile andauernd auf mich zurennen, mich anstrahlen, sich wahnsinnig freuen, wenn ich sie auf den Arm nehme und da merke ich, dass meine Aufgabe einfach ist, für die Kleinen da zu sein und ihnen Liebe und Geborgenheit zu geben. Keine leichte Aufgabe, wenn man es von der Schule allein gewohnt ist, den ganzen Tag geistige Leistung zu bringen, doch ich merke Tag für Tag wie sie mich immer mehr ausfüllt und mir immer mehr gibt. Ich denke, auch das ist eine wichtige Erkenntnis.
Im Dezember haben meine Mitfreiwillige und ich einen Adventskalender für unsere Sala Cuna gebastelt, über den sich sowohl die Kinder als auch unsere tías sehr gefreut haben. Außerdem  startete ich mein erstes kleines Projekt, da mir mein Zahnarzt aus Deutschland Kinderzahnbürsten schickte, die wir hier auch sehr gut gebrauchen können. Den Kindern bereitet das Zähneputzen wahnsinnige Freude, was mich wiederum begeisterte.
Die Adventssonntage habe ich mit den Kindern montags immer mit einer besonderen Aktivität gefeiert und am Ende der Weihnachtszeit war ich unheimlich stolz auf meine Kleinen, als sie ihren Eltern ein Krippenspiel vorführten.
Insgesamt lässt sich also sagen, dass ich meine Arbeit unheimlich liebe, auch wenn es Durststrecken gibt, die es zu bewältigen gibt.


Meine Freizeit
Da ich 9 Stunden täglich arbeite, habe ich unter der Woche leider kaum Freizeit. Meistens geht sie für Einkaufen, Waschen, Aufräumen oder ähnliches drauf. Dafür habe ich dann immer das komplette Wochenende frei, an dem wir viel reisen, da wir beschlossen haben, so viel wie möglich von Südamerika sehen zu wollen. Diese Reisen tragen einen auch über Zeiten des Heimwehs hinweg wie zum Beispiel an Weihnachten. Gemeinsam mit zwei anderen Freiwilligen verbrachte ich dieses am Strand von La Serena. An Heiligabend im Pazifik zu schwimmen war allemal eine großartige Erfahrung, obwohl abends beim „Festessen“ im Hostal, das eher kläglich ausfiel, sich das Sehnen nach Zuhause und der eigenen Familie deutlich bemerkbar machte. Trotzdem verbrachten wir wunderschöne Tage am Meer und in der Umgebung La Serenas und kehrten gut erholt nach Santiago zurück.
Auch Silvester war eine besondere Angelegenheit. Nach der Arbeit machten wir uns direkt auf den Weg nach Valparaíso an den Strand, wo wir das Neue Jahr beginnen wollten. Aufgrund der Zeitverschiebung dachten wir schon am frühen Abend an unsere deutschen Verwandten und Freunde, die bereits die Raketen anzündeten. Vier Stunden später war es dann auch bei uns soweit und wir genossen mit einigen Freiwilligen ein atemberaubendes Feuerwerk über dem Meer. In diesem Moment wurde mir wiedereinmal klar, dass ich in Chile bin und hier Silvester feiere. Es war unglaublich!
Ansonsten habe ich die letzten Monate die beeindruckende Bergwelt Chiles kennengelernt, als wir nahe Talca eine dreitägige Reittour machten. Dieses ließ mich einige Male den Atem anhalten und es war dennoch im Nachhinein die tollste Reise, die ich bisher hier gemacht habe. Außerdem verließen wir Chile das erste Mal seit meiner Ankunft und lernten das argentinische Mendoza kennen. Auch hier gefiel es mir unheimlich gut, vor allem weil es sich sehr von meiner Heimatstadt Santiago unterschied und eine wunderschöne Innenstadt hat.

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