Eine Reise zum Haus des Friedens im Libanon – umgeben vom Krieg
Vereinsmitglied Ulrike Bubeck
„Was? Du reist in den Libanon?” „Geht das überhaupt? Das ist doch gefährlich!” – Das sind die üblichen Reaktionen auf meine Ankündigung, in den Libanon zu reisen. Wer den Libanon nur von der Landkarte aus den Nachrichten als Nachbarstaat von Syrien und Israel kennt, der kann wohl nicht anders reagieren.
Aber das kleine Land im Nahen Osten ist eine wahre Schatzkammer – landschaftlich, historisch, und kulturell. Außerdem kann man viel über Politik, Religionen und Menschen im Nahen Osten sowie ihren besonderen Herausforderungen lernen.
Seit 2010 war ich viermal im Libanon, 2015 zu einem fast viermonatigen Praktikumsaufenthalt in einem Kindergarten in dem palästinensischen Flüchtlingslager „Shatilah”. Der Libanon – und vor allem das Dar Assalam („Haus des Friedens”) – ist so etwas wie eine zweite Heimat für mich geworden.
Auch wenn diese zweite Heimat zerrissen ist und dort – wie in einem Art Mikrokosmos – die gesamte Problematik der ungleichen Ressourcenverteilung weltweit (auch durch den Kolonialismus hervorgerufen) deutlich sichtbar wird.
Der Libanon
Der Libanon hat eine Jahrtausende währende Geschichte mit unterschiedlichen Herrschaften wie die der Perser, Griechen, Römer, Byzantiner und Osmanen. Nach dem ersten Weltkrieg bleibt der Libanon 26 Jahre unter französischem Mandat, bevor er 1943 eine unabhängige Republik wird. Die Besonderheit des Libanons ist sein konfessionelles Regierungssystem. Die politischen Ämter werden unter den verschiedenen christlichen und muslimischen Religionen aufgeteilt. So muss der Staatspräsident stets Maronit, der Parlamentspräsident Schiit und der Regierungschef Sunnit sein. Somit gibt es keine Trennung von Religion und Politik im Libanon. Dieses Regierungssystem führte u. a. zu verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen und schafft bis heute immer wieder Probleme. Eine weitere Herausforderung sind die vielen Geflüchteten im Land. Während des 1. Weltkrieges wurden über 450.000 ArmenierInnen, die vor den Massakern der Türken flohen, aufgenommen und eingebürgert. Heute beherbergt der Libanon weit mehr als 300.000 palästinensische Geflüchtete.
Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Jordanien und (bis vor dem Krieg) Syrien, in denen die PalästinenserInnen den EinwohnerInnen gleichstellt wurden, enthält der Libanon den PalästinenserInnen alle Bürgerrechte vor. So dürfen PalästinenserInnen im Libanon keinen eigenen Besitz haben, sie bekommen keine Sozialversicherung und sie haben kein Recht auf Arbeit. Es besteht sogar ein Arbeitsverbot in 72 Berufen für PalästinenserInnen.
Seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 hat der Libanon ca. 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Viele davon leben ebenfalls in den palästinensischen Flüchtlingslagern und verschlechtern die Lebensbedingungen noch weiter.
Das palästinensische Flüchtlingslager Shatilah
Das Flüchtlingslager, in dem ich mein Praktikum absolviert habe, liegt im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Es ist ca. 0,5 km² groß, grenzt direkt an ein weiteres Flüchtlingslager (Sabra) und beherbergt ca. 20.000 Flüchtlinge, überwiegend PalästinenserInnen, seit dem Syrienkrieg auch zunehmend syrische Flüchtlinge.
Die Lebensbedingungen im Lager sind sehr schwierig. Häufige Stromausfälle bestimmen das Leben. Da die Häuser in Shatilah sehr dicht aneinander gebaut sind, ist es auch tagsüber im Haus sehr dunkel. Wasser ist nicht immer verfügbar und die Qualität ist sehr schlecht.
Traurige Berühmtheit haben die beiden Lager Sabra und Shatilah durch das entsetzliche Massaker von 1982 erhalten. Damals metzelte die Force Libanais (militärischer Arm der Falangisten) unter den Augen und mit Unterstützung der israelischen Besatzer mehrere tausend Menschen (LibanesInnen und PalästinenserInnen) in weniger als zwei Tagen nieder. Die schrecklichen Erlebnisse sind bei älteren BewohnerInnen noch präsent.
Die Kinder heute leiden an prekären Umwelt- und Gesundheitsbedingungen sowie an fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven. Besonders im Kindergarten, in dem ich 2015 arbeitete, lernte ich die zum Teil erschreckenden Lebensumstände kennen. Bei Hausbesuchen sah ich die kleinen Wohnungen, in denen Großfamilien mit bis zu acht Personen lebten. Das Schlafzimmer wurde tagsüber zum Wohnzimmer, indem die Matratzen hochkant an die Wand gelehnt wurden.
Im Kindergarten begleitete ich zwei der drei Klassen beim Unterricht (in den Flüchtlingslagern lernen die Kinder ab drei Jahren bereits die arabischen und die lateinischen Buchstaben sowie Zahlen und englischen Wortschatz – dies ist Voraussetzung für den Eintritt in die Schule). Der Unterricht war oft sehr verschult, die Kinder mussten verschiedene Verse aufsagen oder Buchstaben reihenweise in Hefte eintragen. Da waren vorgelesene Geschichten oder das samstägliche kleine Handpuppentheater eine willkommene Abwechslung.
Auf dem Dach des Kindergartengebäudes gibt es einige Plastikturngeräte – im gesamten Lager gibt es keinen Platz für Spiel-, Sport- oder Fußballplätze – auch die Aufenthalte dort waren für die Kinder eine Freude. Hier konnten sie unbeschwert toben und ihrem Bewegungsdrang einigermaßen freien Lauf lassen.
Auch die medizinische Versorgung in den Lagern ist sehr schwierig – immerhin organisierte der Kindergarten einen Besuch beim Zahnarzt und sorgte, falls nötig, für eine weitere Behandlung.
Die Einrichtung kümmerte sich auch um die Eltern der Kinder – niedrigschwellige Informations- und Beratungsangebote zu vielseitigen Themen (Gesundheit, Beratung und Hilfe bei häuslicher Gewalt, psychologische Beratung, Mutter-Kind-Programme, die den Müttern eine Aus- oder Weiterbildung ermöglichten während die Kinder in der Einrichtung untergebracht sind) werden angeboten. Auch für die älteren Schulkinder gab es unterstützende Angebote wie Hausaufgabenhilfe und Nachmittagsbetreuung. Die breite Auswahl an Programmen macht deutlich, wie vielfältig die alltäglichen Herausforderungen im Flüchtlingslager sind.
Trotz der schwierigen und deprimierenden Lebensbedingungen waren die Menschen im Lager immer sehr freundlich und aufgeschlossen; manche waren auch zutiefst erstaunt, dass jemand aus Deutschland zu Besuch kommt oder gar hier arbeitet . Oft wurde ich gebeten, doch zuhause von den Lagern zu erzählen, damit die Menschen dort nicht ganz vergessen werden …
Das „Haus des Friedens” (Arabisch: Dar Assalam) im Libanon
Das Dar Assalam wurde 1994 als Beitrag zum Wiederaufbau des Landes nach dem 15 Jahre währenden Bürgerkrieg (1975-1990) gegründet. Es versteht sich als interkulturelle Begegnungsstätte, die den Kontakt zwischen Menschen aus dem europäischen und dem arabischen Kulturraum ermöglichen soll. Inmitten des kleinen Dorfes Wardaniyéh liegt das Haus malerisch in den Hügeln des Schouf-Gebirges mit Blick auf das Mittelmeer. Die nächste größere Stadt ist das biblische Sidon. Die Entfernung zur Hauptstadt des Libanons, Beirut, beträgt ca. 35 km.
Im Haus werden arabische Sprachkurse, Studienreisen mit soziokulturellem Schwerpunkt sowie Tagungen und Seminare angeboten. Auch Individualreisende finden hier eine schöne Unterkunft und erhalten alle nötige Unterstützung bei der Planung und Durchführung von Ausflügen, Wanderungen usw.
Während der letzten Jahre wurde das Haus auch immer wieder Zufluchtsort für Geflüchtete aus Syrien oder dem Jemen, die unterstützt wurden, auf legale Weise (d.h. mit Visum) nach Deutschland einreisen zu können.
Das Haus ist vielleicht ein kleiner, dafür aber sehr wertvoller Beitrag, den Libanon in seiner Vielfalt und mit all seinen Schätzen bekannt zu machen. Wer einmal dort war, kommt immer wieder und lässt sich von den schwierigen Gegebenheiten in den Nachbarländern nicht abhalten. Vielleicht auch gerade weil das Leben und Überleben der Menschen im Libanon einen zutiefst berührt und zu denken gibt…
Kontakt und weitere Informationen: