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2021 Toro Babies Home Uganda

Der „Fall“ Stephen

Wir schildern heute einmal exemplarisch einen „Problemfall“ von mehreren in unserem Toro Babies Home. Auf alle tagesaktuellen Probleme, die uns immer wieder tangieren und die Entscheidungen verlangen, können wir hier natürlich nicht eingehen. Heute geht es um Stephen (der Bericht ist weitgehend von Christin Gädker geschrieben)
Stephen wird im November 17 Jahre alt. Er ist mit zwei Jahren im Toro Babies Home aufgenommen worden, weil er von seiner Familie ausgesetzt wurde. Er hat eine geistige Behinderung (Zerebralparese) und kann nur Laute von sich geben. Schon damals litt er unter den epileptischen Anfällen, die mal mehr, mal weniger stark auftreten und auch mit Halluzinationen verbunden sind. Bis er 13 Jahre alt war, konnte er noch laufen. Nach einer starken Malaria-Erkrankung und verbundenem Untergewicht ist er nie wieder auf die Beine gekommen. Seitdem liegt und sitzt er in seinem Bett und konnte bis vor kurzem auch noch krabbeln.

24.05.2021 Krampfanfälle
Joan berichtet uns heute, dass Stephens Epilepsieanfälle stärker und häufiger auftreten. Er muss dringend einem Spezialisten vorgestellt werden, der ihn neu medikamentös einstellt. Partnerschaft Gesunde Welt e.V. wird die notwendigen Kosten dafür tragen.

27. Mai 2021 Stephen hat sich den Oberschenkel gebrochen
Heute Nacht hat sich Stephen während eines schlimmen Krampfanfalls den linken Oberschenkel gebrochen. Er muss wohl damit zwischen die Gitterstäbe geraten sein, als der Anfall begann. In einem surgical camp haben sie sein Bein mit einem Gips versehen, den er mindestens zwei Monate tragen muss. Das gebrochene Bein erschwert nochmals den pflegerischen Teil für die Mother in Haus 5. Bis uns eine bessere Lösung einfällt, muss eine Plexiglasscheibe im Bett weiteres Unglück verhindern.

23. Juni: 1. Gipswechsel
Nach einem Monat hat Stephen seine erste Nachuntersuchung im Buhinga Krankenhaus. Dies war auch ziemlich nötig, da sein Fuß schon angeschwollen war. Die Orthopäden dort haben einen neuen Gips angelegt.

Der Transport von Stephen ist nicht einfach und ist auch nicht unbedenklich für den Heilungsprozess des Beins (er wird mit mindestens zwei Leute getragen und wehrt sich dabei auch manchmal).

06.07. geschwollener Fuß
Schon seit einigen Tagen ist Stephens Fuß geschwollen und das Hochlagern ist nicht einfach, da er sich viel bewegt. Im benachbarten Kabarole Hospital wird der Gips gespalten, was den Druck auf das Bein reduziert und auch schließlich zum Abschwellen des Beines führt.

24. Juli: Starke Krampfanfälle
Stephen hat wieder starke Krampfanfälle, die jetzt in einem Abstand von 5 bis 10 Minuten auftreten und für ca. 20 – 40 Sekunden andauern. Er ist körperlich ausgelaugt und schwach. Sind Schmerzen die Auslöser der Krampfanfälle?

Einen Tag später wird er, nachdem am Abend zuvor noch ein Arzt nach ihm gesehen hat, ins benachbarte Kabarole Hospital aufgenommen. Dort bleibt er von Sonntag bis Montag (25.07. – 26.07.) und seine Anfälle werden medikamentös behandelt. Ein Bluttest konnte andere Erkrankungen, wie z.B. Malaria, als Auslöser der Anfälle ausschließen. Jetzt sind die Krampfanfälle zumindest nicht mehr in so einer hohen Frequenz.

28. Juli 2. Gipswechsel
Stephen hatte seinen nächsten Nachuntersuchungstermin im Buhinga Krankenhaus. Als der Gips abgenommen wurde, war schon deutlich sichtbar, dass die Knochen noch nicht zusammengewachsen sind. Währenddessen hatte er auch noch einen Krampfanfall, sodass das gebrochene Bein noch mehr belastet wurde. Die Ärzte haben gesagt, dass eine Heilung auf diese Art nicht möglich ist und zwei verschiedene Optionen für das weitere Verfahren gegeben:
1) Eine Schiene, die auch die Hüfte miteinschließt (müsste aus Kampala geliefert werden).
2) Operation für ca. 2,5 Mio. UGX
Bis es zu einer Entscheidung kommt, wird Stephens Bein mit einem Erste-Hilfe-Gips stabilisiert.

30. Juli: Starke Krampfanfälle
Stephen wird erneut wegen Krampfanfällen in kurzen Abständen für vier Tage ins Krankenhaus aufgenommen. Dieses Mal ins Virika Hospital, weil dort keine Covid-Patienten behandelt werden. Seitdem haben die Krampfanfälle durch eine andere Medikation deutlich an Häufigkeit abgenommen.
Die Ärzte dort machen sich auch Sorgen um sein Bein und prognostizieren eine geringe Heilungschance mit einer möglichen Schiene.

8. August: Durchblutungsstörungen
Stephen hat Durchblutungsstörungen in seinem gebrochenen Bein, weil das Hochlagern des Beines schwierig ist. Er ist sehr aktiv und setzt sich dauernd auf und legt sich wieder hin. An einer Operation führt kein Weg mehr vorbei!

Montag, 09. August
Der Verband um die Gipsschiene wird zur Entlastung geöffnet, sodass die Durchblutung gewährleistet werden kann. Am Donnerstag soll Stephen dann stationär aufgenommen werden, damit er noch einen Tag bis zur geplanten OP am Freitag beobachtet und überwacht werden kann. Der Operateur macht sich Sorgen wegen der Narkose, da Stephen Schluckstörungen hat.

Bis dahin lagern Buchhalterin Joan und Volontärin Christin das Bein von Stephen täglich hoch und stellen sicher, dass er sich nicht aufsetzen kann. Die beiden Mädels müssen dauerhaft abwechselnd neben ihm sitzen und ihn ruhig halten.

12. August (Donnerstag)
Anästhesist: „Stephen kann hier in Fort Portal nicht operiert werden. Er benötigt ein gutes Team von Anästhesisten in Kampala.“
Er empfiehlt das große, öffentliche Mulago Hospital in Kampala.
Am Wochenende arbeiten keine Spezialisten in diesem Krankenhaus, deshalb entscheiden Joan und Betty, dass es sinnvoller ist am Montagmorgen direkt mit Stephen in Kampala vorstellig zu werden. Die Zeit drängt! Am Samstag fährt der ugandische Freiwillige Daniel, der in Kampala lebt und arbeitet, zum Mulago Hospital. Er berichtet, dass es total überfüllt ist und viele Menschen auf ihre Behandlung warten. Dort können wir mit Stephen nicht hinfahren! Die Gefahr einer Coronainfektion ist zu hoch.

Eine andere Lösung muss her: Über Marina erhielten wir die Empfehlung für das private Lubaga Hospital (Kampala), das ebenfalls von Partnerschaft Gesunde Welt e.V. unterstützt wird. Auch die projektleitende OP-Krankenschwester Sabine hat einen sehr guten Eindruck von dem Orthopäden und dem Equipment des Krankenhauses. Nach einiger Organisations- und Kommunikationsarbeit von Sabine und Marina bestätigt uns der Direktor Dr. Andrew, dass wir am Montagmorgen ins Lubaga Hospital kommen können.

Montag, 16. August

Um 02:30 Uhr fahren Joan, Mother Christine, unsere deutsche Freiwillige Christin, der Fahrer Julius zusammen mit Stephen los nach Kampala. Dort kommen sie dann nach sechs Stunden Fahrt im privaten Lubaga Hospital an. Stephen konnte, trotz der unbequemen Position, etwas schlafen.
Die Ärzte in der Ambulanz machen gleich ein komplettes Check-Up, nehmen Blut ab, machen einen Covid-Test und verordnen eine Röntgenaufnahme. Dabei stellt sich heraus, dass der Knochen schon angefangen ist zu heilen und vielleicht keine OP nötig ist, da Stephen sowieso nicht laufen kann.
Den Ärzten fallen sofort die Krampfanfälle auf, weshalb sie einen Neurologen organisieren wollen, der ins Lubaga Hospital kommt. Um 15:30 Uhr wird Stephen dann auf die private Station aufgenommen, da es wegen Covid sicherer in einem Einzelzimmer ist (115.000 UGX pro Nacht, ca. 27 €).
Volontärin Christin hat einen sehr guten Eindruck von dem Krankenhaus und von der Arbeitsweise der Ärzte.
Joan und Christin kochen selber für Christine und Stephen, da das deutlich Kosten spart.

Dienstag, 17. August
Bei der Visite bestätigt Chefarzt Dr. Salomom, dass keine OP für Stephens Bein nötig, weil unter anderem auch das Risiko einer OP für Stephen zu hoch wäre.

Er möchte aber nochmal eine Röntgenaufnahme in drei Wochen sehen, die auch in Fort Portal angefertigt werden kann. Stephen muss aber noch auf Station bleiben, um anderen Professionen vorgestellt zu werden, einem Physiologen, wegen des Stephens Übergeben nach dem Essen und einem Neurologen, wegen seiner Krampfanfälle.
Der Fahrer Julius fährt zurück nach Fort Portal, da noch ungewiss ist, wie lange Stephen im Krankenhaus bleiben muss.

Mittwoch, 18. August
Der Physiologe erklärt uns, dass das Übergeben nach dem Essen ein physiologisches Problem ist, das vielleicht durch eine Operation behoben werden könnte. Allerdings kann so eine Operation auch für Stephen noch mehr Probleme auslösen, weshalb mit unserer Lösung, ihm Brot zu geben oder das Umfeld zu wechseln, weiter gemacht werden soll.
Nachdem der Neurologe nicht gekommen ist, organisiert Dr. Andrew einen Krankentransport für Freitagmorgen, der Stephen in ein anderes Hospital zu einem Kinderneurologen bringt.

Freitag, 20. August

Lubaga Hospital

Nach Komplikationen bei der Entlassung im Lubaga Hospital kommt Stephen zusammen mit Joan und Christin verspätet um 08:30 Uhr im Nsambya Hospital an. Den Termin hatte Stephen für 07:30 Uhr. Aufgrund der Verspätung ist die Warteschlange vor uns schon recht lang und wir müssen bis ca.11 Uhr warten, damit wir den Neurologen Dr. Ssebunya sehen können. Er stellt klar, dass die verordnete Medikation im Virika Hospital in Fort Portal eine Überdosis war und es daher kein Wunder ist, wenn Stephen viel schläft und immer hungrig ist. Dr. Ssebunya möchte für weitere diagnostische Zwecke ein EEG und ein MRT machen lassen.
Nachdem Stephens Kopf rasiert und Blut abgenommen wurde, geht es um ca. 13 Uhr zum EEG. Jedoch musste Joan nochmal zum Lubaga Krankenhaus zurückfahren, um ein Sedierungsmedikament zu besorgen, welches im Nsambya Hospital nicht verfügbar war. Nachdem Stephen dann das Medikament verabreicht wurde und er am Schlafen war, konnte das EEG gemacht werden. Danach geht es zum MRT, das aus Zeitgründen nicht mehr gemacht werden konnte. Deshalb muss Stephen noch eine weitere Nacht in Kampala bleiben.
Der Neurologe verschreibt glücklicherweise noch am Tag auf Nachfrage von Joan und Christin zwei neue Medikamente und teilt mit, dass er Stephen in zwei Wochen nochmal wiedersehen möchte, um zu sehen, wie Stephen auf die neue Medikation anspricht.

Samstag, 21. August
Pünktlich um neun Uhr kommen sind wir zurück für das MRT. Während Stephens Sedierung, die für das MRT notwendig ist, muss er von einem Anästhesisten betreut werden, der zunächst noch im OP war. Stephen hat ziemlich viel Lärm gemacht, weil er für die Sedierung nüchtern bleiben musste.

Um ca. zwölf Uhr konnte das MRT angefertigt werden. Auf die Ergebnisse müssen wir nicht warten, da sie direkt an Dr. Ssebunya weitergeleitet werden, der am Montag telefonisch kontaktiert werden soll.
Nachdem Stephen zwei Stunden später wieder aufgewacht ist, machen wir uns schnell auf dem Rückweg, da ab 19:00 Uhr die Ausgangssperre beginnt.
Um 22 Uhr kommen wir nach einer kurzen Panne mit einem müden Stephen wieder im Toro Babies Home an.

Fazit:

  1. Eine Operation des Oberschenkels ist nicht nötig, da Stephen nicht Laufen kann, die OP ein hohes Risiko darstellt und der Knochen bereits heilt.
  2. Ein Neurologe befasst sich jetzt mit den immer wiederkehrenden Krampfanfällen von Stephen.
  3. Anfang September geht es zurück nach Kampala, um zu sehen wie Stephen auf die neue Medikation reagiert.