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2016 Allgemein Nigeria

Teresa in Nigeria

Bericht 10/2016 

Ich wollte mich wieder bei Ihnen melden und Ihnen kurz von meiner Zeit in Nigeria berichten.

Die Spenden, die ich von Partnerschaft Gesunde Welt mitnehmen konnte, waren ein Segen. Zum Beispiel konnte für die Kinder über lange Zeit kein Brot mehr gekauft werden. 
Als aber die Kinder dann hörten, dass wieder Geld gekommen ist, um Brot, Kakao, Milchpulver und Zucker zu kaufen, waren sie schon Tage bevor diese Dinge an sie verteilt wurden, außer sich vor Freude und sind buchstäblich in großen Jubel ausgebrochen. Als dann ein paar Tage später die Lieferung der Lebensmittel auf dem Gelände ankam und die Verteilung stattfand, kamen sie aus allen Ecken des Geländes angerannt! Jedes Kind hat dann ein ganzes Brot, sowie Kakao und Milchpulver erhalten. Es war für alle wie ein Freudenfest!

Ich habe Ihnen ein paar Bilder und zwei Videos (die funktionieren bisher auf unserer Internetseite nicht. Schade.) von der Verteilung angehängt, die ich und eine andere Deutsche, mit der ich gemeinsam dort war, gemacht haben.

Im Anhang ist auch noch ein Bild von der Skabies-Behandlung eines Kindes durch Krankenschwester Glory. Das medizinische Personal dort ist wirklich so bemüht, all den Kindern gerecht zu werden, und es ist sehr viel Arbeit.

Zur Zeit sind die Lebensmittel wieder extrem knapp – erst vor ein paar Tagen habe ich diesen Artikel einer nigerianischen Tageszeitung erhalten:

www.vanguardngr.com/2016/10/starvation-imminent-edo-idp-camp/

„Drohende Hungersnot im Flüchtlingslager im Bundesstaat Edo
 
Am 18. Oktober 2016 12:34 Uhr
Von Gabriel Enogholase
 
Benin City – Der Leiter des Flüchtlingslagers in Uhogua, nahe Benin City im Bundesstaat Edo, Pastor Solomon Folorunsho, hat Nigerianer und Organisationen dazu aufgerufen, bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern zu helfen, um das Leben der Menschen im Camp zu retten.
 
Pastor Folorunsho, der am Wochenende mit Journalisten sprach, sagte, dass das Leben im Lager schrecklich und gefährdet sei. Er fügte hinzu, dass es dringend das Eingreifen von Nigerianern bedarf, die auf das Gemeinwohl bedacht sind, um das Leben der Kinder im Lager zu retten.
 
Folorunsho sagte: „Die derzeitige Lage im Camp ist kritisch, besonders im Bereich der Lebensmittel. Wir haben keinen Reis, keine Bohnen, keinen Maniok und andere notwendige Nahrungsmittel. Tatsächlich brauchen wir alles, was Menschen essen können. Wir können nicht zulassen, dass die Kinder verhungern. Ich appelliere an die Öffentlichkeit, die Regierung und an Einzelpersonen, uns bitte zu Hilfe zu kommen.“
 
„Es mangelt an Unterkünften, da mehr als 100 Menschen in einem kleinen Zimmer leben, das für ungefähr 20 gedacht ist. Durch das neue Schuljahr, das gerade begonnen hat, benötigen die Schüler und Studenten im Camp Schulmaterial, welches sie noch nicht bekommen konnten.“
 
Er fügte hinzu, dass sich trotz der Notlage im Camp etwa 193 Studenten aus dem Lager für die GCE und NECO Prüfungen eingeschrieben haben (das sind Zulassungsprüfungen zum Universitätsstudium in Nigeria)..

Bezüglich der Umsiedlung der Binnenvertriebenen zu ihren Familien sagte er:  „Durch die Hilfe des Roten Kreuzes und der Sicherheitsbehörden war ich in der Lage, etwa 300 von ihnen mit ihren Familien in Verbindung zu bringen, einige kamen zu Besuch, andere riefen an.“
 
Viele Grüße,
Teresa

Bericht 02/2016

Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre Familie liegen nachts friedlich in Ihrem Haus in Ihren Betten, als es plötzlich laut an Ihre Haustür hämmert und fremde Männerstimmen hineinrufen: „Aufmachen, hier ist die Armee!“ Sie schrecken aus dem Schlaf hoch, Ihre Kinder beginnen zu weinen. Da es keinen Strom gibt, tasten Sie sich im Dunkeln zur Tür – doch als Sie diese öffnen, drängt Sie eine Gruppe von schwarz gekleideten, vermummten Männern zurück in Ihr Haus, die Macheten und Gewehre auf Sie gerichtet. Es ist nicht die Armee – sondern Boko Haram. 

Was sich liest wie eine Filmszene ist bis heute grauenvoller Alltag in den nordöstlichen Bundesstaaten Nigerias. Durch die Attacken der Terrorsekte befinden sich derzeit etwa 3,3 Millionen Menschen auf der Flucht. Nachdem die Männer der Boko Haram ihr unvorstellbares Unheil angerichtet haben – das Haus ausgeraubt, die Frauen vergewaltigt und verschleppt, die Männer umgebracht, und zum Schluss das Haus niedergebrannt – sind die Kinder oft die einzigen, die fliehen können. Sie irren häufig wochen- und monatelang umher, bis sie irgendwo Zuflucht finden können. Nicht wenige sterben auf der Flucht.

„Home For The Needy“ in Süd-Nigeria konnte bisher über 1.500 dieser Kinder retten, sodass dort inzwischen mehr als 2.200 Kinder, aber auch einige Witwen und Familien, leben. 

Eines der Mädchen hat auf wundersame Weise den Angriff von Boko Haram überlebt. Als ihre Familie attackiert wurde, zerschnitten die Terroristen ihr die Achillessehne, damit es ihr unmöglich sein würde, zu fliehen und sie verbluten würde. Doch das Mädchen floh trotzdem unter größten Schmerzen, die Wunde notdürftig verbunden, und versteckte sich tagelang im Wald, weil die Boko Haram weiter nach ihr suchte. Sie überlebte, und lebt heute glücklich bei „Home For The Needy“ und geht dort zur Schule. 

Während meinen beiden Einsätzen im Jahr 2015 konnte ich zusammen mit dem Pflegeteam vor Ort viele dieser Kinder medizinisch betreuen, sowie die Fortschritte unserer Arbeit dokumentieren. So eine Anzahl von Kindern zu versorgen ist jeden Tag eine Herausforderung, zumal täglich neue Kinder ankommen. Vor Kurzem trafen an einem einzigen Tag über 40 neue Kinder und Witwen ein. Inzwischen konnten mehr Unterkünfte gebaut und die sanitären Anlagen verbessert werden. Doch angesichts der ständig wachsenden Anzahl an Menschen ist dies noch nicht genug. Besonders die Schulgebäude müssen dringend fertiggestellt werden, da mittlerweile der Großteil der Kinder im Freien unterricht werden muss. Trotzdem beeindruckt es mich jedes Mal, wenn ich dort bin, wie glücklich und zufrieden die Kinder sind. Man sieht ihnen ihre Geschichte oft nicht an. Erst, wenn sie zu erzählen beginnen, erkennt man, welches Trauma sich hinter ihren lachenden Gesichtern verbirgt. 

Die Krankenstation ist nach wie vor provisorisch unter dem Vordach der Gottesdiensthalle eingerichtet. Hier gibt es aber eine große Neuerung – seit dem Frühsommer 2015 befindet sich eine massive Krankenstation im Bau! Sie soll dieses Jahr fertiggestellt werden. Das ist eine große Verbesserung und Erleichterung, sei es allein bei der Lagerung von Medikamenten und Equipment, aber vor allem hinsichtlich einer geeigneten Versorgung unserer Patienten bei Wind und Wetter. Natürlich können dadurch auch Kosten gespart werden, weil Kinder, die ernsthafter erkrankt sind, nicht mehr sofort in eine Klinik gebracht werden müssen. 

Darüber hinaus konnte 2015 die einheimische Hebamme/Krankenschwester Bernice fest angestellt werden. Ihr Wissen und Können ist ein großer Segen. Dennoch habe ich großen Respekt vor ihr, tagtäglich für diese vielen Kinder der medizinische Ansprechpartner zu sein, nachts aufzustehen, wenn es einem Kind schlecht geht, oder die Hygienemaßnahmen auf dem Gelände zu koordinieren. Sie hat natürlich nach wie vor die Unterstützung des kleinen Pflegeteams, das aus angelernten bzw. Krankenpflegern in Ausbildung besteht. Dies soll so bald wie möglich noch ausgebaut werden. 

Auch Ärzte werden nach wie vor dringend benötigt. 

Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich Bernice ab und zu den Rücken freihalten konnte und wir gemeinsam knifflige Fälle lösen konnten. So gibt es mehrere Kinder, deren „Fälle“ mich 2015 bewegt haben. 

Da ist zum Beispiel Mariamo, das kleine Mädchen, das eine heftige Magen-Darm-Grippe und Malaria ausgestanden hatte. Sie befand sich schon auf dem Weg der Besserung. Aber ihr fiel es sehr schwer, tagtäglich die großen roten Pillen zu schlucken, die aber für eine erfolgreiche Ausbehandlung sehr wichtig waren. Jeden Tag versuchte ich, ihr die Medikamente einzuflößen und ihr gut zuzureden, nur damit ich sie keine 5 Minuten später sah, wie sie alles wieder ausspuckte. Sie wollte auch kaum essen und trinken. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht die Möglichkeit, ihr die Medikamente oder wenigstens Flüssigkeit über Infusion zu verabreichen. Und so bemühte ich mich jeden Tag, dass sie wenigstens -ein bisschen- aß und trank. Wie glücklich war ich dann, als sie nach ein paar Tagen schließlich eine ganze Scheibe Weißbrot auf einmal aß, die ich ihr gegeben hatte. Sie hatte anscheinend schließlich Vertrauen zu mir gefasst. Als ich sie im Dezember wieder sah, war sie wieder ein gesundes und fröhliches Kind. 

Ein anderer kleiner Junge wurde mit hohem Fieber zu uns gebracht, und Bernice und ich hatten den Verdacht auf Malaria. Er zitterte und schwitzte am ganzen Körper, und war sehr schwach. Bernice verabreichte ihm schließlich Paracetamol intramuskulär, während er sich an mir festhielt. Obwohl er sehr tapfer war, musste er sehr weinen (und ich muss sagen, dass mir in solchen Momenten „das Herz blutet“). Ich hatte ihn danach noch eine Weile auf dem Schoß, bis er sich schließlich in seiner Unterkunft hinlegte. Am nächsten Tag kam er mit einem anderen Jungen zu mir gelaufen und strahlte mich über das ganze Gesicht an. Ich hätte ihn fast nicht erkannt, weil es ihm viel besser ging. 

Schließlich war da noch das kleine Mädchen Rita, deren Hand nach dem Mittagsschlaf plötzlich stark angeschwollen war. Ich hatte den Verdacht, dass sich vielleicht eine kleine Wunde entzündet haben könnte, und so die Schwellung verursacht hat. Ich behandelte Rita zunächst mit „Zugsalbe“, weil ich dachte, dadurch würde der Eiter aus der Wunde befördert werden. Auch gaben wir Antibiotika. Einen Tag später hatte sich die Schwellung aber noch verschlimmert, und Bernice und ich waren ziemlich besorgt. Schließlich schickten wir ein paar Bilder der Hand per WhatsApp zu unserem Vereinsmitglied Dr. Sabine Oestreicher nach Deutschland, die vermutete, es könnte eine allergische Reaktion sein. Wir entschieden uns deshalb, dem Mädchen noch am selben Abend unsere letzte Ampulle Cortison intramuskulär zu spritzen. Als ich das Mädchen zu ihrem Schlafplatz brachte, halfen ihr die anderen Kinder, den Arm über Nacht hochzulagern. Am nächsten Morgen holte ich Rita wieder ab, um ihr ihre Medikamente zu geben. Ich war über das Ergebnis unserer Behandlung begeistert – die Schwellung war über Nacht so gut wie komplett zurückgegangen. 

Dies sind nur einige Beispiele der vielen Kinder, die tagtäglich bei „Home For The Needy“ versorgt werden. Das sind auch solche Momente, die die viele Arbeit, die es dort gibt, so wertvoll machen und die einem besonders in Erinnerung bleiben. In Deutschland wären alle diese Fälle einfach zu lösen. Doch wenn wie im Dezember eines Abends plötzlich der Hustensaft ausgeht, der erst wenige Tage zuvor gespendet worden war, und man den vielen Kindern, die eine Erkältung haben, sagen muss: „Es gibt zur Zeit keinen Hustensaft“, dann wird einem wieder deutlich bewusst, in welchem Überfluss wir eigentlich leben. 

Anfang 2015 wurde in Nigeria ein neuer Präsident gewählt. Ein großes Wahlversprechen von ihm war, den Terror von Boko Haram zu stoppen. Leider hat sich dabei noch nichts getan. Und dennoch gibt es Hoffnung in Nigeria. Es gibt Millionen von Kindern und Jugendlichen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als zu lernen, zu studieren und dass etwas aus ihnen wird – und die das Potenzial haben, das Land zu verändern. 

Und deshalb freue ich mich auf die Einsätze in 2016, damit ich meinen kleinen Beitrag dazu leisten kann.